Wissenslücken der Manager in Sachen Nachhaltigkeit (UN)

Topmanager wollen politischer werden und versprechen mehr Nachhaltigkeit. Doch die Grundideen dafür sind in den Führungsetagen kaum bekannt.

Auf Großevents wie der aktuellen Automobilmesse IAA oder bei Investorenkonferenzen darf das Schlagwort Nachhaltigkeit nicht mehr fehlen. Die Unternehmen wollen sich grüner machen und die Welt verbessern – das versprechen sie zumindest. VW-Chef Herbert Diess sprach am Dienstag auf der IAA mit Blick auf den Klimawandel von einer „dramatischen Situation“.

Was Nachhaltigkeit konkret für Firma, Mitarbeiter und Kunden bedeutet und an welchen Zielen sich die Unternehmen ausrichten, bleibt aber oft nebulös. Schon die Grundideen der Nachhaltigkeit sind in den Führungsetagen der Firmen kaum verankert, zeigt eine aktuelle Umfrage der deutschen Wertekommission, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.

Danach kennen nur die wenigsten Manager die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die auch für die Wirtschaft gelten und die sich viele Firmen selbst als Richtschnur für ihr Handeln gegeben haben. Nur 40 Prozent der Führungskräfte weiß über die sogenannten UN Sustainable Development Goals (SDG) Bescheid.

Die Wertekommission hat jüngst über 500 Führungskräfte befragen lassen, unter anderem zu ihren Werten, zum Verantwortungsbewusstsein – und eben zu den Nachhaltigkeitszielen. Hinter der Initiative stehen Führungskräfte aus deutschen Unternehmen und Institutionen, die Werte als Grundlage modernen Managements durchsetzen wollen.

Für die Kommission ist das Ergebnis ein „erschreckendes Signal“. 2015 haben die Vereinten Nationen 17 Ziele vereinbart, mit denen die gesamte Welt bis 2030 besser gemacht werden soll: Arbeitsbedingungen, Geschlechtergleichheit, Klimaschutz, Hungerbekämpfung, nachhaltige Produktion. Bei all diesen Herausforderungen soll der Welt im Jahr 2030 ein deutlicher Sprung nach vorn gelingen.

„Sechs Jahre nach der Festlegung auf diese Ziele und neun Jahre vor deren geplanter Erreichung ist dies ein kritischer Befund“, kommentiert Sven Korndörffer, Vorsitzender des Vorstands der Wertekommission, die Studienergebnisse. Für die CEOs ist die Unkenntnis auch deswegen ein sensibler Punkt, weil sich eine Mehrheit von ihnen künftig stärker in gesellschaftliche und politische Debatten einbringen will.

Die Sustainable Development Goals der UN richten sich zwar in erster Linie an die Staaten, doch die Wirtschaft wurde bei der Verabschiedung bewusst in die Pflicht genommen. Mehr noch: Zahlreiche Unternehmen haben ihre Nachhaltigkeitsstrategien mittlerweile an die Ziele der Vereinten Nationen gekoppelt. Sie wollen also dazu beisteuern, dass sie erreicht werden.

Das fordert auch der Finanzmarkt von ihnen ein. Spezielle Nachhaltigkeitsfonds investieren nur noch in Firmen, deren Geschäftsmodell und Produkte erkennbar auf das Erreichen der SDGs zielen. Ob dies der Fall ist, prüfen neue Analysehäuser wie die SDI Asset Owner Platform, die von mehreren großen Vermögensverwaltern gegründet wurden.

Doch all das scheint in den Organisationen der Firmen oft noch nicht durchgedrungen zu sein. „Ich finde es beunruhigend, dass diese Ziele der Vereinten Nationen so wenig in den Köpfen der Manager verankert sind“, sagt Claudia Peus, Professorin für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement an der TU München. Sie hat die Umfrage wissenschaftlich begleitet.

„Für mich ist dies ein Zeichen dafür, dass die Debatte über Nachhaltigkeit häufig noch viel zu schlagwortartig und abstrakt geführt wird“, resümiert Peus. „Es fehlt an konkreter Umsetzung, wie Nachhaltigkeit im Unternehmen, bei den Mitarbeitern und bei den Kunden stärker verankert werden kann.“ Die Ziele der Vereinten Nationen seien dafür eine gute Basis.

Nur jeder zweite CEO sieht sich für nachhaltige Produktion verantwortlich

Ignoranz will die Wertekommission den Managern allerdings nicht vorwerfen. Denn während der Umfrage wurden die unwissenden Manager über die UN-Nachhaltigkeitsziele im Detail aufgeklärt. Im Anschluss bekannten sich drei Viertel der Befragten dazu, Beiträge zu deren Erreichung leisten zu wollen – allerdings nur zu ausgewählten Zielen.

Dazu gehören vor allem die Ziele „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“, „Geschlechtergerechtigkeit“ und „Hochwertige Bildung“. Weniger Einfluss sehen die Manager bei der Beseitigung von Ungleichheit und Armut in der Welt.

Überraschend für die Wertekommission ist: Nur jeder zweite Manager sieht sich in der Verantwortung für das UN-Ziel „Schaffung nachhaltiger Produktions- und Konsummuster“. Gerade das sollte Kern von Nachhaltigkeitsstrategien in Unternehmen sein. Selbst bei den Führungskräften in der Konsumgüterbranche sehen sich nur 55 Prozent in dieser Pflicht.

Bei börsennotierten Unternehmen tauchen die Ziele der Vereinten Nationen mittlerweile überwiegend als eine der zentralen Richtlinien auf. Rund drei Viertel von ihnen führen in ihren Nachhaltigkeitsreports die SDGs als Maßstab auf, zeigte eine Analyse der Beratungsgesellschaft Cometis von Firmen aus den Aktienindizes Dax, Euro Stoxx und Dow Jones.

Im Detail gehen die Firmen aber sehr unterschiedlich damit um. So verspricht der Kunststoffhersteller Covestro, bis 2025 fast nur noch an Lösungen zu forschen, die zum Erreichen den UN-Ziele beitragen. Autohersteller wie Daimler und Volkswagen fokussieren sich auf ausgewählte Ziele, zu denen sie am ehesten beitragen können: „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ gehört dazu, ebenso „Nachhaltige Produktion“ und „Klimaschutz“.

Doch kaum ein Großkonzern macht alle 17 UN-Nachhaltigkeitsziele zum Teil seines internen Regelwerks. Das mag pragmatische Gründe haben. Unternehmergeführte Firmen wie der Outdoor-Spezialist Vaude beweisen aber, dass dies bis ins Detail möglich ist.

Vaude bekennt sich in seinem Nachhaltigkeitsreport zu allen SDGs und verknüpft dies mit konkreten Zusagen. So will der Ausrüster auch in seiner Lieferkette dafür sorgen, dass existenzsichernde Löhne gezahlt werden, was wesentlich bei der globalen Armutsbekämpfung ist. Auch beim UN-Ziel „Sauberes Wasser und Sanitätsversorgung“ macht Vaude seinen Lieferanten Vorgaben.

Dass die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen wächst, ist vielen Chefs bewusst. „Alle CEOs tragen per se schon große Verantwortung für einen Teil der Gesellschaft – nämlich für ihre eigenen Mitarbeiter“, sagte Max Viessmann, Co-CEO des Energiesystem-Spezialisten Viessmann, dem Handelsblatt. „Sie stehen außerdem in der gesellschaftlichen Verantwortung, weil sie über ihre Produkte und Lösungen Dinge verändern und bewegen können.“

Der 32-jährige Viessmann sieht in den Meinungen der CEOs eine „wertvolle Ergänzung für die Politik“. Lösungsvorschläge zur effektiven Bewältigung des Klimawandels sollten an erster Stelle stehen. „Hier müssen wir alle gemeinsam noch mehr Verantwortung übernehmen“, sagt der Unternehmer.

Ex-Siemens-Chef Kaeser gilt als Vorbild

Doch sehen sich Manager wirklich schon als „politischer CEO“? Der frühere Siemens-Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser positionierte sich bei vielen politischen Themen in der Öffentlichkeit scharf – er gilt aber bisher als Ausnahme. Die Umfrage der Wertekommission zeigt, dass sich zumindest Topmanager künftig stärker in die Debatte über gesellschaftliche und politische Themen einbringen wollen.

61 Prozent von ihnen sehen sich in einer politischen Verantwortung, vor allem bei den Themen Rassismus, Umweltschutz, Digitalisierung, Bildung und Geschlechtergleichheit. Sie tun das nicht allein aus persönlichem Interesse, sondern erhoffen sich mehr Attraktivität als Arbeitgeber: Mitarbeiter und potenzielle Bewerber sollen sich besser mit dem Unternehmen und seinem gesellschaftlichen Anspruch identifizieren können.

Größtes Hindernis ist der Umfrage zufolge aber die Furcht der Manager vor „Shitstorms“, also Angriffen über die sozialen Medien. Dennoch gehen Experten von einem Wandel aus: „Die junge Generation erwartet von den CEOs ganz klar, dass sie zu großen gesellschaftlichen Themen Stellung beziehen und damit zeigen, wofür ihr Unternehmen steht und eintritt“, sagt Wissenschaftlerin Peus. „Joe Kaeser wird kein Einzelfall bleiben.“

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