Unternehmen fordern gesetzliche 3G-Regel für den Arbeitsplatz

Angesichts der sprunghaft ansteigenden Corona-Infektionszahlen fordern erste Unternehmen in Deutschland die Politik auf, auch für Büros und Produktionshallen eine gesetzliche 3G-Regel einzuführen.

Damit hätten nur noch Geimpfte, Genesene oder negativ Getestete Zugang zu Betrieben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Handelsblatt-Befragung unter ausgewählten Dax-Konzernen und großen Familienunternehmen.

So teilt etwa der Versicherer Allianz mit: „Klare rechtliche Vorgaben des Gesetzgebers wären sehr hilfreich.“ Die Berücksichtigung der Impfungen beim Infektionsschutz dürften sich positiv auf das Infektionsgeschehen in der kalten Jahreszeit auswirken. Auch für den Immobilienkonzern Vonovia wäre 3G die „vorzugswürdige Lösung“, doch die rechtlichen Rahmenbedingungen erschwerten die Einführung.

Obwohl die 3G-Regel in weiten Teilen des öffentlichen Lebens gilt, etwa bei Restaurant- oder Kinobesuchen, sind Firmen nicht dazu berechtigt, vertrauliche Gesundheitsdaten wie etwa den Impfstatus ihrer Beschäftigten abzufragen. Das erschwert es Betrieben, 3G- oder gar 2G-Regelungen einzuführen.

Österreich, Italien und Frankreich hatten zuletzt eine 3G-Regel am Arbeitsplatz eingeführt. In Deutschland haben Bund und Länder das bisher nicht getan. Ein Versuch, eine 3G-Regel zumindest in publikumsnahen Branchen durchzusetzen, scheiterte Anfang Oktober. Eine einheitliche gesetzliche Regelung müsse im Infektionsschutzgesetz stehen. Stattdessen kann jedes Bundesland derzeit eigene Regeln erlassen.

Bei immer mehr Firmen sorgt das für Unmut. Schon Ende August hatte Familienunternehmer-Vertreter Reinhold von Eben-Worlée im Handelsblatt beklagt, dass inzwischen jedes Hotel und Restaurant wisse, welcher Gast geimpft ist. „Das gleiche Recht sollte auch Unternehmen eingeräumt werden.“

Solche Antworten sind bemerkenswert, normalerweise äußern sich Betriebe zu politischen Fragen sehr zurückhaltend. Doch viele Firmenleitungen stecken in einem Dilemma. Einerseits wollen sie die Gesundheit ihrer Beschäftigten schützen. Andererseits stellen immer mehr fest, dass das Dauer-Homeoffice die kreative Zusammenarbeit behindert und es gerade neue Beschäftigte schwer haben, sich von zu Hause aus einzuarbeiten.

Wenn Arbeitgeber wüssten, ob ihre Beschäftigten immunisiert sind, könnten sie die Rückkehr ins Büro einfacher organisieren und die Auslastung ihrer Betriebsstätten erhöhen. Denn immer noch, das zeigt die Handelsblatt-Umfrage, sind viele Büros nur zu einem kleinen Teil besetzt.

Unterstützung bekommt die Wirtschaft von der Wissenschaft: Ulf Dittmer, Direktor der Virologie der Uniklinik Essen, hält die 3G-Regelim Büro für sinnvoll. Arbeitsstätten hätten in der zweiten und dritten Infektionswelle eine große Rolle gespielt. „Es gab den klaren Nachweis von diversen Infektionsketten unter Arbeitskollegen.“

Erste Firmen haben bereits ohne eindeutige Gesetzesgrundlage 3G- oder gar 2G-Regeln für ihre Firmengebäude eingeführt, um den betrieblichen Alltag wieder zu normalisieren. Besonders weit geht der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer: Beschäftigte, etwa in Laboren oder Teilbereichen der Produktion, können unter freiwilliger Anwendung der 2G-Regel wieder ohne Abstand und Maske zusammenarbeiten oder Meetings in Präsenz durchführen.

Das ist rechtlich erlaubt: Mitarbeiter können ihren Impfstatus dem Arbeitgeber auf freiwilliger Basis preisgeben. Bayer geht nach ersten Rückmeldungen von einer „sehr hohen Impfquote“ seiner Beschäftigten aus.

Andere Firmen haben 3G-Beschränkungen eingeführt: Bei SAP etwa hat seit Anfang Oktober nur noch Zutritt, wer geimpft, getestet oder genesen ist. Die Deutsche Börse setzt bereits seit Mitte September auf ein freiwilliges 3G-Modell. Man erwarte von den Mitarbeitern einen entsprechenden Nachweis, überprüft werde er aber nicht – mangels rechtlicher Grundlage. Das Familienunternehmen Viessmann hat gemeinsam mit den Betriebsräten eine 3G-Regelung in einigen Bereichen eingeführt.

Obwohl eine klare Rechtsgrundlage fehlt, gehen immer mehr Juristen davon aus, dass Firmen auch hierzulande 3G im Betrieb unter bestimmten Voraussetzungen verhängen dürfen. Eine praxistaugliche Möglichkeit beschreibt Martina Hidalgo, Arbeitsrechtlerin bei der Wirtschaftskanzlei CMS: Der Arbeitgeber ordnet eine allgemeine Testpflicht im Betrieb an. Geimpfte und Genesene können freiwillig entscheiden, ob sie einen Impf- oder Genesungsnachweis vorzeigen, dann wären sie von der Testpflicht befreit. Wer seinen Status nicht preisgeben will, müsste sich weiter testen lassen.

Ein Coronatest sei, anders als von manchen zu Beginn des Jahres bewertet, nur ein geringfügiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sagt Hidalgo. „Das Testen gehört mittlerweile zum Alltag dazu wie Zähneputzen“ und könne von Betrieben per Weisungsrecht angeordnet werden. Firmen hätten ein Interesse, Werksschließungen und Produktionsausfälle durch negativ getestete Beschäftigte zu vermeiden und das wiege höher als das Interesse des Einzelnen, sich nicht testen zu lassen.

Eine 2G-Regelung im Betrieb hält die Juristin dagegen nicht für durchsetzbar, solange es keine gesetzliche Impfpflicht gibt. „Unternehmen können nicht die Grundrechte aushebeln“, sagt Hidalgo. Selbst Betriebsratund Firmenleitung dürften eine 2G-Regel nicht gemeinsam verordnen.

Die Handelsblatt-Umfrage zeigt auch, dass verwaiste Büros und leere Kantinen mehr als anderthalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie Arbeitsrealität sind. Bei der Allianz könnten aufgrund der Hygienebestimmungen 50 Prozent der Beschäftigten zurückkehren, tatsächlich sind aber nur 30 Prozent vor Ort.

Auch am Eon-Sitz in Essen ist die Auslastung ähnlich niedrig. Siemens begrenzt die Auslastung auf 40 Prozent. Die Deutsche Telekom, Symrise, Viessmann und Jungheinrich auf 50 Prozent. Vielerorts kommen aber weit weniger Beschäftigte zur Arbeitsstätte.

Die Büro-Präsenz dürfte auch in den kommenden Wochen nicht spürbar ansteigen: Viele Unternehmen haben wegen der aktuellen Infektionslage weitere Büro-Öffnungsschritte verschoben. Stattdessen haben die Firmenleitungen sogar die Homeoffice-Regelungen verlängert. Bei Zalando sollen Beschäftigte bis zum ersten Quartal 2022 mobil arbeiten, SAP hat seine Heimarbeitsregelungen bis Mitte 2022 verlängert.

Einen ganz anderen Weg geht Puma. Bei dem Dax-Neuling sind ungefähr 80 Prozent der Belegschaft wieder im Büro. Ähnlich hoch war die Quote sogar während der Lockdowns.

Büropräsenz sei „besonders für unsere oft jungen und internationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr wichtig, da sie nicht unbedingt die gleichen sozialen Netzwerke und die Infrastruktur haben, um von zu Hause aus zu arbeiten“, teilt der Sportartikelhersteller mit. Die hohe Präsenz werde durch eine Impfquote von über 90 Prozent ermöglicht, wie interne Umfragen zeigten.

Obwohl die kostenlosten Bürgertests vor Wochen ausgelaufen sind, werden Unternehmen derzeit weiter dazu verpflichtet, ihren Mitarbeitern zwei Schnelltests pro Woche auf Firmenkosten anzubieten. Völlig offen ist die Frage, ob diese Pflichtnach dem Auslaufen der epidemischen Lage weiter besteht. Die Corona-Notlage läuft am 25. November aus und wird nach dem Willen der Fraktionen der Ampel-Parteien, die die Mehrheit im Bundestag bilden, wahrscheinlich nicht wieder verlängert.

In dem Plan von SPD, Grünen und FDP ist eine Testpflicht derzeit nicht explizit erwähnt. Grünen-Gesundheitsexpertin Kordula Schulz-Asche sagte dem Handelsblatt, dass es auch künftig Hygieneregelungen am Arbeitsplatz geben muss. „Inwiefern Arbeitgeber weiterhin in die Pflicht genommen werden müssen, Tests bereitzustellen, muss geprüft werden.“ Der CDU-Gesundheitsexperte Michael Hennrich spricht sich hingegen für die Maßnahme aus: „Ich halte nach wie vor kostenlose Tests für elementar, um einen vernünftigen Überblick über das tatsächliche Infektionsgeschehen zu bekommen.“

Die meisten vom Handelsblatt befragten Firmen wollen auch nach einem Ende der Corona-Notlage ihren Beschäftigten weiterhin kostenlose Tests anbieten. So antworteten etwa Adidas, Oetker, Jungheinrich, Miele oder Volkswagen. RWE will das zunächst prüfen. Und Vonovia hält es für angemessen, ein Testangebot nur jenen zu ermöglichen, die sich etwa aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen könnten. Doch um das herauszufinden, müsste die Politik zunächst die Gesetze anpassen.

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